Und schon ist es November! Zeit für ein neues Monatsmotto unseres gemeinsamen HosenHerbstes:
November
1. November 2014: Passform II - Mängel erkennen und beheben
Wie sitzt die neue Hose? Wo gefällt sie mir noch nicht? Was könnte ich an dieser Hose noch ändern? Was muß ich machen, damit das nächste Modell besser wird?
Das erneute Aufgreifen des Themas Passform hat für mich folgenden Grund: ich vermute mal stark, dass es das eine oder andere Passformproblem aufgetreten sein könnte, die eine oder andere etwas Zuspruch braucht und es Zeit ist, euch darin zu bestärken nicht aufzugeben. Aber was tun? Ich bin wirklich und absolut keine Hosen-Expertin und wundersamer Weise fand sich auch keine Gastbloggerin, die euch mit 1,2,3 Zaubertricks zum Ziel der perfekten Hose bringen könnte. Schade! Aber vielleicht ist genau das das Problem! Versuche ich es also, auf meinem Weg zu lösen.
Praktisch bin ich noch nicht sehr weit gekommen, im Hosenthema. Das liegt daran, dass ich nicht unbeschwert, frisch und fröhlich an das Thema herangegangen bin, sondern mir der Schwere und Kompliziertheit bewusst war. Nein, so ganz stimmt das nicht, denn ich habe ja zwei Hosen genäht, die ich tatsächlich auch trage. Genau genommen, habe ich mir einen Schleichweg aus der Hosen-Passform-Problematik genommen, in dem ich weite Jerseyhosen nähte. Das sind zwar Hosen, aber eben ohne Passform.
Aber theoretisch habe ich mich mit dem Thema Hosen und Passform beschäftigt. Ich habe gelernt, einen Grundschnitt für Hosen zu erstellen und mich auch damit beschäftigt, was bei großen Größen im Speziellen zu beachten ist. Ich habe die betreffenden Kapitel in "Maßschnitte und Passform" von Guido Hofenbitzer und "Perfekte Passform" von Sarah Veblen gelesen und seufzte. Das ist ne Menge Theorie und ne Menge Stoff - ist das wirklich für Nähnerds, die als Hobby und nicht als Wissenschaft nähen, überhaupt zu bewältigen? Ich sah Bilder von Körperformen und vorgeschlagene Möglichkeiten, diese bei Konstruktion oder Änderungen zu berücksichtigen: ihr wisst schon flacher Hintern, dicker Bauch etc....
In Sarah Veblens "Der große Fotoguide für die Perfekte Passform" fand ich dann einen Absatz, der meine Gedanken gut in Worte fasst.
"Ein Kompromiss zwischen Aussehen und Bequemlichkeit wird durch die unterschiedlichen Körpermerkmale im Stehen oder Sitzen bedingt. Im Sitzen ist die Körperrückseite von der Taille bis zu den Knien deutlich länger als im Stehen, die Körpervorderseite von der Taille zu den Knien ist hingegen viel kürzer. Um diese Längenveränderung am Rücken Rechnung zu tragen, muss die Passform am Oberschenkel, unter dem Gesäß und im Schrittt etwas locker sein. Möchten Sie diese Bereiche recht eng haben, besteht der Kompromiss darin, dass Sie unterhalb vom Gesäß einige waagrechte Stofffalten haben werden, die den zusätzlichen Stoff liefern, damit Sie sich hinsetzen können."
Ich glaube, genau darum geht es. Hosen sind immer ein Kompromiss, mal mehr und mal weniger. Vielleicht gibt es die perfekte Hose gar nicht, vielleicht erreicht oder findet frau sie durch Zufall, aber sobald ein neues Material ins Spiel kommt, ist sie möglicherweise nur schwer reproduzierbar.
Als ich über diesen Gedanken nachdachte, fiel mir auf, wie wir uns für Bilder im Nähblog mit unseren Kleidungsstücken fotografieren. In der Regel stellen wir uns irgendwo hin, versuchen unser schönstes Gesicht, ziehen vielleicht noch den Bauch ein wenig ein und hoffen auf ein gutes Foto. Stimmt doch, oder? Anschließend genießen wir das positive Feedback, dass netterweise in der Nähnerdszene üblich ist, obwohl wir wissen, dass wir nur einen Teil der Wahrheit gezeigt haben. Ob ein Kleidungsstück wirklich bequem, schön und praktikabel ist, stellt sich meist erst während längeren Tragens heraus. Bei mir zum Beispiel, gibt es manches enges Kleid oder engen Rock, die auf Fotos zwar super aussahen, die ich aber nicht mehr gerne trage, seitdem ich Fotos von mir in diesem Kleidungsstück sah, auf denen ich im Sitzen fotografiert wurde. Eine Zeitlang machte ich deswegen Me Made Mittwoch-Fotos zusätzlich im Sitzen, weil darauf aber meine Klamotten und ich nur maximal halb so schön aussahen wie auf den Fotos, bei denen ich vor der Klotür stehe, veröffentliche ich nur die Steh-Fotos.
Wenn wir uns nun diesen Monat mit Passformproblemen bei Hosen beschäftigen, hoffe ich, dass wir immer im Hinterkopf haben, dass es ein Kompromiss ist: ein Kompromiss zwischen Schönheit und Bequemlichkeit. Wenn ihr Hosen nähen wollt, in denen ihr auch sitzen oder fahrradfahren oder einfach leben wollt, dann kann es durchaus sein, dass ihr im Stehen eben nicht die perfekte Hose auf dem Foto seht. Es kann durchaus sein, dass es Falten gibt. Nun meine Frage: ist das ein Weltuntergang?
Jede für sich muss für sich ausloten, wo sie Kompromisse macht. Mir ist wichtig, euch Mut zur "nicht 100%igen Perfektion" zu machen. Ich bin sicher, dass eure Hosen (vielleicht auch erst die zweite oder dritte selbstgenähte) viel besser sind, als irgendwelche Kaufhosen! Das, was ihr mal als "die perfekte Hose" in der Erinnerung verklärt abgespeichert hattet, war vielleicht auch nur eine gefühlt perfekte Hose, weil sie eben einigermaßen gut war. Und wenn das schon ein paar Jahre her ist, dann fragt euch, ob ihr auch heute noch, mit dem, was ihr mittlerweile über Körperform, Passform, Material und Verarbeitung im Laufe des selber Nähens gelernt habt, diese Hose immer noch das Prädikat "die perfekte Hose" bekommen würdet.
Solltet ihr eine Hose genäht haben, die euch noch nicht glücklich macht, stellt euch mal folgende Frage: ist die selbst genähte Hose nicht perfekt oder möglicherweise euer Anspruch zu hoch oder gar unrealistisch? Ich vermute einfach, dass es keine Perfektion gibt und wenn, dann ist sie vermutlich ein Zufallsprodukt. Machen wir es einfach so gut wie möglich und freuen uns daran, dass das schon verdammt gut ist. Vielleicht denken wir auch noch mal an das Monats-Motto im August, in dem es um unsere Ansprüche ging und nähen uns zwei Hosen: eine die bei Steh-Empfängen super aussieht und eine zum sitzen. Die Eierlegendewollmilchsau ist wirklich schwierig zu erreichen - wenn wir uns das klar machen, können wir wieder ein bisschen gelassener werden.
Ich will euch nicht davon abhalten, ehrgeizig zu sein und euer Bestes zu geben, aber ich will euch die Hand halten und euch ermuntern, nicht aufzugeben. Hilft das? Wenn nein, dann kauft oder leiht euch Bücher zum Thema Passform (hervorragende Hinweise zum Thema Hosenliteratur findet ihr bei mema), lest den Artikel zum Thema "Hosenanpassungen - die häufigsten Korrekturen" von sewing galaxy, studiert euren Körper und ändert die Schnitte gemäß der vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten, näht Probehosen und werdet zu Expertinnen. Oder ihr sucht mal nach Stoffen mit Elasthan - diese könnten die Dilemmata rund um den Kompromiss auch ein bisschen kleiner machen.
Aber jetzt zu euch: welche neuen Erkenntnisse konnte ihr im Laufe des HosenHerbstes zum Thema Passform gewinnen?
Mehr Informationen zum HosenHerbst Sew Along (Ablauf, Inhalte und Teilnahmeregeln) findest du hier.
Die bisherigen und nächsten Monatsthemen:
August: Hosenformen, Hosenmoden, HosenschnitteSeptember: Passform I - Ansprüche
Oktober: Im Detail liegen die Tücken
November: Passform II - Mängel erkennen und beheben
Dezember: Defilée und Resumée