In den letzten drei Tagen habe ich knapp 20 Stunden genäht. Das Nähnerd-Treffen in Bielefeld, war eine gute Gelegenheit, auch mal wieder ein größeres Projekt anzugehen. Schon seit 1,5 Jahren, also seit dem Kostüm-Sew-Along, habe ich zwei Stoffe hier, die zu Blazern werden sollen und deren Rockpartnerinnen schon lange fertig sind und fleissig getragen werden. Obwohl ich im Schnittkurs schon vor Monaten einen Blazergrundschnitt erstellt habe, war die Zusammenführung des Grundschnittes mit den Details des Suit Jackets von Gertie, das ich nähen wollte, eine Gehirnleistung, die ich lange vor mir herschob.
Mit Bahn und Nähmaschine zu reisen bedeutet nicht nur, gründliches Packen um nur ja kein Schnittteil etc. in der Heimat zu vergessen. Es bedeutet für mich auch, ohne Overlockmaschine zu nähen. Es ist verflixt, wie sich ein Nähnerd schnell und vollständig an die Erweiterung des Maschinenparks gewöhnt. Jedenfalls hatte ich keine Lust, etwas zu nähen, bei dem ich die Ovi vermissen würde. Also doch ein Blazer! Die kurzfristige Zusagen, eine mit Verpflichtungen vollgestopfte Woche, ein Schnitt, der noch erstellt werden muß und ein Stoff mit Karos, sind ehrgeizige Voraussetzungen. Doch ich schaffte, alles vorzubereiten, so dass ich am Freitag Abend mit dem Aufbügeln der Einlage beginnen konnte. So eine Bügelpresse, die ich ausprobieren durfte, ist zwar eine tolle Sache, aber gefühlt habe ich trotzdem den ganzen Freitagabend damit zugebracht, die Einlage aufzubügeln.
Die Stunden am Samstag vergingen wie im Flug. Vormittags ein bißchen nähen, ein kleiner Nähnerdausflug und dann, nur von einem kurzen Abendessen unterbrochen weiter nähen bis kurz vor 1 in der Nacht. Von 17 Uhr bis Abendessen hatte ich eine Paspelknopflöcherblockade und ging Frau Nahzugabe vermutlich ziemlich damit auf die Nerven. Um 22 Uhr hatte ich die Knopflöcher dann im Blazer drin und hoffe nun immer noch, dass sich die Geschichte zum Running Gag aber nicht freundschaftstrübend auswirkt. Jetzt habe ich das gründlich kapiert mit den Knopflöchern und werde, falls ich die Tage mal Zeit finde, dafür eine Anleitung schreiben. Ich weiß, das gibt es schon tausendfach, aber das mache ich natürlich auch für mich, denn wer weiß, wann ich wieder Zeit für ein aufwändiges Projekt habe.
Es war wirklich erstaunlich. In der Nacht zum Samstag hatte ich nur 6 Stunden geschlafen und diese wenigen Stunden wurden auch noch einen Wecker, der versehentlich um 6 Uhr klingelte und für dessen Ausschalten ich minutenlang brauchte, unterbrochen. Trotz heftiger Kopfschmerzen nähte ich unverdrossen und ich hätte auch noch nach Mitternacht lange weiter genäht, wenn die Stimmung im Raum etwas weniger Party gewesen wäre. Im Laufe des Abends, als immer mehr Näherinnen sich dem Partyflauschen zuwendeten, wurde es im Raum lauter und lauter, aber trotzdem nähte ich konzentriert und unverdrossen weiter. Es war eher die Vernunft, die mich dazu überredete aufzuhören und die Angst vor Fehlern und dem dazugehörigen Trennen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Blazer langsam erkennbar und die Fertigstellung absehbar. Es war wirklich schwierig, die Maschine auszuschalten bzw. nur für als Stimmungslicht anzulassen.
Sonntag geriet ich etwas aus dem Flow und wurde etwas hektisch, aber ich glaube, mit dieser Stimmung war ich nicht alleine. Die Zeit des Abreisens rückte näher und das war im Raum zu spüren. Ich wollte das Ding gerne bis zur Abfahrt fertig bekommen, zumindest das Futter sollte drinnen sein, damit es nicht mehr aussieht, wie eine Operation am offenen Herzen. Leider ist mein Futter nicht optimal konstruiert, an den Futterschnitt muß ich noch mal ran und die Vorderteile und das Rückenteil des Ärmels noch mal neu zuschneiden und einnähen. Wie gut, dass es bisher nur geheftet ist! Und vor allen Dingen werden ich ordentlich alle Erkenntnisse notieren - hoffe ich doch! Denn eigentlich wäre es sinnvoll, den erträumten roten Blazer gleich hinterher weg zu nähen. Immerhin geht da der Zuschnitt leichter...
Für mich war es sehr erstaunlich, dass ich die Zeit mehr zum Nähen als zum Quatschen nutzte. Irgendeine sagte "Ach, nähen kann ich doch auch zuhause...", aber ich merkte, dass das für mich nicht wirklich gilt. Abends oder eben mal schnell zwischendurch zuhause nähen, ist nicht das gleiche, die die Chance konzentriert über mehrere Stunden sich einem Werkstück zu widmen. Im Nachhinein finde ich es zwar schade, dass ich weniger als geplant herumgelaufen, über die Schulter geschaut, Nähmaschinen angeschaut, geplaudert und von anderen gelernt habe, aber es fühlte sich so schön an, einfach zu nähen. Wer mich kennt, kennt meinen Spruch "eigentlich nähe ich gar nicht gerne" - mir ist am Wochenende klar geworden, dass ich unter den üblichen Bedingungen einfach nicht gerne nähe. Aber mit dieser Erkenntnis lässt sich ja arbeiten.
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beachte: mit eben-Julia-Gedenk-Tischmülleimertasse |
Der Aufbruch war schnell und holprig, denn das bestellte Taxi kam früher als geplant. Leider konnte ich weder an der Abschlußrunde teilnehmen, noch mich gebührend bedanken und verabschieden. Aber wir lesen uns ja wieder! Das Treffen war toll und hat meine Nähmotivation extrem erhöht. Es fügt sich schön ein, in die diversen Nähnerdaktionen des Jahres und deswegen war der Abschied auch nur ein körperlicher Abschied, denn wir sind ja verbunden und das ist schön! Es fühlt sich schön an, ein Hobby zu haben, das hätte ich früher nie gedacht. Ich bin gerne ein Nerd! Ich finde es schön, in eine Tätigkeit versunken zu sein, Freundinnen und Bekannte zu haben, die sich für das Gleiche begeistern, mit ihnen in Geheimsprache zu reden und sich für Dinge zu begeistern, die andere nicht kennen oder mit den Augen rollen, wenn sie davon hören. Es macht Spaß, bis in die Nacht hinein, gemeinsam etwas zu tun, es ist toll, ein Wochenende komplett abzutauchen und sich mit Hingabe dem Nerdsein zu widmen. Wie schön, dass ich das Nähen für mich entdeckt habe und dass es die Nähnerds gibt!