Jetzt stickt sie auch noch! Ja, ich dachte, ich probiere es mal. Mir ist abends oft langweilig, Fernsehen alleine lastet mich nicht aus, aber mangels Näh- oder Arbeitszimmer, ist es auch nicht immer möglich, abends zu nähen oder zu arbeiten. Deswegen mache ich gerne etwas mit den Händen nebenbei, während wir Lieblingsserien schauen. Stricken mag ich irgendwie seit Monaten überhaupt nicht, obwohl ein gewisser Strickjackenbedarf nicht von der Hand zu weisen wäre. Ich scheue mich mal wieder dabei, die Denkarbeit zu machen und einen "Strickschnitt" bzw. eine Anleitung zu basteln. Häkeln mache ich sehr gerne, aber irgendwie ist das so wenig nützlich - etwas zum Anziehen für mich zu häkeln, ist mir bisher leider noch nicht gelungen.Also sticke ich.
Nützlich? Werdet ihr euch fragen? Gestern telefonierte ich mit Frau Nahtzugabe und wie immer, entstanden aus dem Gespräch interessante Gedanken. Ja, ich finde Sticken nützlich. Und zwar nützlich im Sinne von "es hilft mir, mein Gesamtbild von mir aktiv zu gestalten". Ich sticke natürlich nicht einfach nur so: Dieses Probestück habe ich gestickt, weil ich den kühnen Traum habe, für den Vortrag am Samstag nicht nur mein Kleid fertig zu nähen, sondern auch noch zwei Vögelchen auf das Rockteil zu sticken. Das würde das Kleid in meinen Augen perfekt für den Anlass machen und aufs Herrlichste mit Tasche und Schuhen korrelieren.
Im Gespräch mit Frau Nahtzugabe wurde mir klar, dass es mir tatsächlich beim Selbermachen nicht nur um den Nähflow oder die sinnliche Freude geht, schöne Materialien mit den Händen zu fühlen. Meine textile Leidenschaft ist mehr als nur eine Material- oder Tätigkeitsbegeisterung. Manche finde ich meine Ergebnisfixierung beim Nähen etwas kleingeistig, aber gestern wurde mir klar, dass es mir in Hinblick auf die Ergebnisse tatsächlich immer um das große Ganze geht: ich will mein Schicksal in die Hand nehmen und selbst entscheiden, was ich anziehe, wie ich auf andere wirke. Ich will autark sein von dem, was mir der Markt an Bekleidung bietet. Ich will meine Träume umsetzen, meinen Kopfkleiderschrank verwirklichen und immer mehr auch äußerlich zu der werden, die ich eigentlich bin oder die ich sein will. Jedes fertige Kleidungsstück ist ein Schritt in diese Richtung. Manchmal sind es Irrungen und Wirrungen und ich stelle fest, dass etwas doch nicht so geworden ist, so aussieht, wie ich es mir erhofft habe. Manchmal habe ich den falschen Schnitt oder den falschen Stoff gewählt und mein Bild von mir und das, was ich im Spiegel sehe, stimmt nicht überein. Aber stets lerne ich etwas dabei und rückblickend habe ich schon eine Menge gelernt und freue mich mehr und mehr über das, was ich im Spiegel sehe.
Das Sticken ist ein weiterer Schritt in die Unabhängigkeit. Vielleicht muss ich irgendwann Baumwolle anpflanzen und Schafe züchten, um auch Einfluss auf das Material zu haben, das ich bearbeite. Im Moment finde ich das absurd, aber frau weiß ja nicht, wohin sie die textile Leidenschaft irgendwann bringt. Sticken bedeutet für mich, dem Material Akzente zu setzen und ich war erstaunt darüber, dass es gar nicht so schwer war, wie vermutet. (Dank meiner seit Herbst neuen Lesebrille, war es nahezu ein Kinderspiel). Ich habe das Bild von Urban Threads gekauft, mit Kopierpapier und einem Kuli zum Durchdrücken auf den Stoff übertragen und dann mit Hilfe eine Stickanleitungsbuchs aus der Bücherhalle einfach losgelegt. Es gäbe noch einiges zu verbessern: nicht so viel Geknoddel auf der Rückseite, bessere Kombination von Garn und Stoff (Das Garn war zu dreifädig zu zu dick!), mal ohne Stickvlies, besseres Garn, gleichmäßigere Stiche und und und. Aber ich finde, für den ersten Versuch darf ich stolz sein. Und ganz lächelnd denke ich diesen beglückenden Gedanken: was bin ich für ein mächtiger Menschen, wenn ich jetzt auch noch auf dem Weg bin, Sticken zu können.