Ich mag es sehr, wenn sich in unsere Nähnerd-Nische Gedanken weiter gereicht werden. Zuletzt startete Julia und warf einen Gedanken in die Runde: Sie stellte Überlegungen zu "Nähen: Nutzen kontra Zeitvertreib in die Runde", die viele bewegten. La Couseuse nahm den Faden auf und bloggte über "Vernunft und Gefühl", wobei sie die zwei wunderschönen Begriffe "Kopfnähen und Herznähen" schuf, die fortan fester Bestandteil meines Wortschatz sind. Mamamachtsachen ergänzte dann, dass es für sie wenig sinnvoll ist so einen Widerspruch zwischen "Kopf UND Herz" aufzumachen, denn sie befriedigt Nähen insbesondere dann, wenn das Eine mit dem anderen zusammen geht. Alles drei sind lesenswerte Artikel und sehr typisch für die jeweilige Bloggerin, das gefällt mir. Lest auch die Kommentare.
Obwohl ich mir auch viel Gedanken über das Nähen mache, habe ich für mich noch nicht diese Unterscheidung zwischen Kopfnähen und Herznähen getroffen, denn eigentlich praktiziere ich nur Herznähen oder anders gesagt, ich nähe experimentierfreudig nach dem Lustprinzip. Das trifft auch dann zu, wenn ich ein Kleid wie Ajaccio schon mehr als 10 mal genäht habe - dann kommt die Lust aus der Motivation, genau aus diesem Stoff eben noch eines von der Sorte zu nähen und da ich die Dinger sowieso ständig trage, stellt sich für mich auch nicht die Frage von "zuviel" oder Unvernunft. Meine Vorliebe für das Lustprinzip beim Nähen mag daran liegen, dass ich selbständig arbeite und wenig Verpflichtungen habe, bei denen ich irgendwie korrekt aussehen muss. Im Gegenteil: bei mir ist es oft eher so, dass ich das Gefühl habe, overdressed zu sein - aber daran gewöhnt frau sich schnell. :-)
Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, angebliche Beschränkungen zu hinterfragen. Ich bin der festen Überzeugung, dass in den allermeisten Branchen, diese "ungeschriebenen Gesetze der Kleiderordnung" eben nicht in Stein gemeißelt sind. Sie haben sich so ergeben und alle halten sich daran, weil es einfacher ist, keine eigenen Entscheidungen zu treffen. Dabei schätze ich das Risiko verhältnismäßig gering ein, "etwas falsch" zu machen, wenn frau etwas vom üblichen Dresscode abweicht. Ist es im Job nicht hilfreich, hin und wieder sichtbar zu sein, damit andere bemerken, wie sehr wir uns einbringen? Auf jeden Fall! Das gilt vielleicht nicht für jeden Tag. Jede hat diese Zeiten, in denen sie lieber in der grauen Masse verschwinden will, weil die Tagesform gerade nicht für Sonderleistungen ausreicht. Aber den Rest der Zeit, können wir durchaus mal was wagen, finde ich. Das können dann die Momente sein, an denen wir auch außerhalb unserer kuscheligen Nähwelt Komplimente bekommen.
Kurz und gut: ich ziehe an und nähe, wonach mir ist. Das einzige, was mich wurmt ist, dass ich im Vorfeld fast gar nicht sagen kann, welches Nähwerk ein Lieblingskleidungsstück wird und welches nicht. Ihr kennt sicherlich das Phänomen, dass Probekleider oftmals irgendwie besser werden, als das lange geplante Traumstück aus dem Streichelstoff. Das ist verflixt! Mich ärgert das deswegen, weil es nicht nur enttäuschend ist, wenn Träume wie Seifenblasen platzen, sondern das sind auch die Momente, in denen ich mich Frage, ob Nähen nicht manchmal Ressourcenverschwendung sein könnte.
Bei mir herrscht oft die Kleidungsregel, die dem Blogbeitrag seinen Titel gab "Erst mal das weniger Schöne!". Im Zweifelsfall ziehe ich die nicht ganz so heiß geliebten Klamotten aus dem Schrank, damit die Besonderen für besondere Anlässe geschont werden. Gerade heute trage ich das Kringelajaccio. Ich habe ein anderes, das ich euch morgen zeige, das ich viel viel schöner finde. Aber häufiger trage ich das mit den Kringeln. Welches hat nun seine Berechtigung? War es nun besser, das Blumenajaccio zu nähen oder das mit den Kringeln? Oder hätte eines von beiden gereicht und zwei sind Luxus?
Vielleicht muss ich die Kategorie "Lieblingskleid"überdenken, denn Lieblingskleider sind nicht immer die Schönsten, sondern möglicherweise die Meistgetragenen.
Ich bin gespannt, welche Bloggerin "das Stöckchen" nun aufsammelt und unser aktuelles Thema mit ihren Gedanken bereichert. Ich freu mich drauf!