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Schnitte vergrößern

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In den Kommentaren zu meinem Post "nicht mehr dick" wurde die These geäußert, dass nicht jede dazu in der Lage ist bzw. (immerzu) Lust dazu hat, Schnitte zu vergrößern. Ich würde die These genau anders herum formulieren:

Ich denke, dass jede Näherin es lernen kann, Schnitte anzupassen und dies auch unbedingt tun sollte - denn wozu nähen wir denn, wenn nicht um möglichst gut passende Kleidung zu erhalten?!

Wenn frau (Männer sind natürlich immer mit gemeint) zu nähen beginnt, erscheint diese These utopisch und das Anpassen von Schnitten als Hexenwerk. Ist es aber nicht. Es gibt verschiedene Methoden, sich daran zu versuchen und zu üben und jede Hobby-Näherin wird ihren eigenen Mix von Methoden, ihre eigene Vorgehensweise finden.

Damit es kein Hexenwerk bleibt, verrate ich euch, wie ich es mache:

Ich wähle einen Schnitt, der mich nächtelang nicht mehr ruhig schlafen lässt, weil ich dieses Ding unbedingt von meinem Kopfkleiderschrank in meinen richtigen Kleiderschrank transportieren muß mir gefällt und überlege, wo ich ihn größer oder anders brauche. Das betrifft einerseits oft die generelle Weite, also ein paar Zentimeter mehr überall an der Seitennaht. Aber in der Regel reicht das noch nicht. Ich brauche auch einen größeren Ärmel und ein größeres Armloch und ich brauche eine FBA, die mehr Platz für den Busen schafft. Ich brauche mehr Länge und dann auch noch hinten länger als vorne... Es gibt also immer Einiges zu tun.

Ich kenne drei Methoden, um Schnitte zu vergrößern:


1. Die vordere Mitte als Anhaltspunkt nehmen, diese Linie aufschneiden und den Schnitt um die entsprechende Anzahl von Zentimeter auseinanderziehen und einen Streifen dazwischen kleben.


2. "einfach gradieren", d.h. schauen, wieviel Zentimeter Abstand zwischen den einzelnen Größen eines Mehrgrößenschnittes angegeben sind, ausrechnen wieviel Größen frau größer braucht und die entsprechenden Zentimeter an den relevanten Stellen dazu fügen.


3. FBA (Full Bust Adjustment) - Platz für Busen schaffen -  ist gut bei sewn sushi beschrieben. Gibt es auch in vielen Büchern, ich arbeite aber immer nach der Methode von sewn sushi.


Methode 2 mache ich nicht, weil ich dann meist ups, einen ebenso unpassenden Sack produziere. Bei Methode 1 erhält frau einen zu großen Ausschnitt und überhängende Schultern, von dieser rate ich dringend ab.

Aber was mache ich jetzt genau? Los gehts!

1. Ärmel und Armloch
Ich merke mir, an welchen Schnitten, die ich schon mal genäht habe, welches Detail gut passt. Ich habe einen guten Ärmel und ein gutes Armloch, das ich aus einem Schnittquelleschnitt genommen und ein bißchen verschmälert habe. Außerdem habe ich noch einen guten Ärmel aus zwei Teilen für Jacken oder Mäntel. Diese zwei "Musterärmel" kommen immer wieder zur Anwendung. D.h. ich vergleiche bei jedem Schnitt erstmal, ob Ärmel und Armloch ungefähr ähnlich meinem "Musterärmel" sind und wenn nicht, dann überlege ich wieso das nicht der Fall ist. Bisher habe ich das noch nicht herausgefunden, also nehme ich einfach den herauskopierten oder ausgeschnittenen Schnitt, lege ihn auf Papier oder Folie und zeichne ihn ab und füge aber meine "guten Musterarmlöcher" ein.

Meine Musterärmel habe ich mittlerweile auf festem, guten Packpapier, so dass ich sie immer wieder benutzen kann.

2. Ich mache eine FBA
Gemäß der Anleitung bei Sewn Sushi ist das gar nicht schwer. Die FBA mache ich stets Pi mal Daumen. Also immer nur geschätzt, wieviel Breite ich tatsächlich zugebe. Das relevante Detail an der FBA ist aber die korrekte Markierung des Brustpunktes. Wenn ich mal wieder einen neuen Schnitt mit nicht-dehnbaren Stoff nähen sollte, würde ich ordentlicher arbeiten. Aber zur Zeit habe ich da gar kein Bedürfnis nach.

Nach meiner Erfahrung ist am wichtigsten zu schauen, ob die Stelle, an der am meisten Platz gebraucht wird, dort sitzt, wo sie hingehört. Mein Brustpunkt hängt tiefer als im Ideal, also brauche ich auch etwas weiter unten als in den meisten Schnitten die Mehrweite. Die Entfernung zwischen Schulternaht und Brustspitze ist also ein Maß, das ihr kennen solltet. Und nicht vergessen, immer mal wieder die BH-Träger schön straff ziehen, damit es dort hängt, wo es hängen soll und gut aussieht!


3. Ich schaue, wo ich sonst noch mehr Platz brauche.
Sehr oft male ich freihändig eine weniger starke Taillenrundung - ich bin Mitte 40, da kann die Taille schon mal verschwunden sein. Außerdem geht enger machen immer.

Oberweite, Taille und Hüfte sind die relevanten Maße. Da hilft wirklich nur den Schnitt ausmessen.

4. Rückenteil
Ich nehme ein gutes Rückenteil (das ist das von mir vergrößerte Knotenkleid, kombiniert mit den Armlöchern siehe oben) und vergleiche es mit dem Rückenteil des Schnittes.

Das wars schon. Ihr seht. Ich nehme meine Musterschnitte und vermische sie mit den interessanten Details des Schnittmusters, das ich nähen will. Das ist der Trick! Dann passt es! 

Grundsätzlich markiere ich sehr sorgsam überall, auf meinen "Musterschnitten" aber auch auf dem zu bearbeitendem Schnitt immer die "vordere Mitte", denn diese ist überall mein Anhalts- und Fixpunkt an dem ich mich orientiere, wenn ich etwas ändere.

Was mir beim Schnitt-Anpassen sehr hilft, ist der Mut, Kurven frei zu zeichnen, ein Geodreieck und ein langes Lineal. Mein Kurvenlineal benutze ich fast nie. Das Geodreieck brauche ich, um von der vorderen Mitte aus Waagrechten zu zeichnen um links und rechts symmetrisch zu arbeiten und um Linien parallel zu verschieben. Das lange Lineal ist nice to have. Es geht auch ohne bzw. andere lange Dinger finden sich auch im Haushalt. Aber ohne ein Geodreieck (lange Kante 30 cm und mit Griff) geht es nicht.

Nut Mut! Ihr könnt das auch!

Und wozu das Ganze?

  1. Ihr bekommt ein Kleidungsstück, dass auf eure Figur geschnitten ist. 
  2. Ihr lernt bei jedem Schnitt, was das Spezielle an dem Schnitt ist und eine ganze Menge über die Schneiderinnenkunst. 
Ich habe lange vom Maßschnitt geträumt und von supertollen Schnitten für große Größen. Davon bin ich ab, seit dem mir bewußt geworden ist, dass es beim Maßschnitt aufs Messen ankommt (Fehlerquellen noch und nöcher!) und dass die Variabilität der großen Größen (also die Unterschiede, wer wo mehr Platz braucht) so immens groß ist, dass es "die perfekten Schnitte" gar nicht geben kann. Erst war ich von diesen Erkenntnissen ernüchtert bis frustriert. Jetzt sehe ich das anders. Wer sich von einer gelernten Schneiderin etwas auf den Leib schneidern lässt, bekommt auch kein Schnittmuster und daraus das fertige Kleidungsstück. Es gibt immer mindestens eine, zwei oder mehr Zwischenanproben um sich Stück für Stück dem fertigen, gut passendem Kleidungsstück anzunähern. Es ist eben eine Kunst!

Und zwischendurch, wenn ich gerade mal keine Lust habe, an einem Schnittmuster zu basteln, nähe ich gerne Schnitte, die sich leicht auf die Figur anpassen lassen - das sind alle Schnitte, die mit senkrechten schmalen Bahnen oder Abnähern arbeiten. Da darf ich dann einfach "ein bißchen größer nähen" und kann dann das fast fertige Modell sehr einfach anpassen, in dem ich es dort enger mache, wo ich es enger haben will. 

Nur Mut! Es lohnt!

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