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Warum ich gerne im Stoffladen arbeite (1)

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Da ich gerade nicht so viel an fertigen Nähwerken zum Zeigen habe, wollte ich euch erzählen, was das mit mir und der Arbeit im Stoffladen so auf sich hat. Dazu will ich ein bisschen ausholen, denn meine Stoffladenliebe begann schon in den 80ern.

Mit 16 oder 17 suchte ich als Schülerin einen Nebenjob. Meine Eltern weigerten sich, mir Allround-Turnschuhe, Levis-Jeans, Ski-Urlaub und den Führerschein zu bezahlen, also musste ich Geld verdienen. Eigentlich konnte ich nix und Babys mochte ich nicht - ich war eben noch Schülerin. Also lief ich durch Frankfurts größte Einkaufsstraße, die Zeil, und fragte in jedem Kaufhaus nach, ob ich dort als Aushilfe arbeiten könnte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie spannend ich das fand, diese Kaufhäuser durch die Hintertür zu betreten und durch dunkle Gänge mit Linoleumböden zu laufen und das zu sehen, was frau als Kundin nie zu sehen bekommt. Ich füllte in diversen dunklen Kabuffs Bewerbungsbögen aus und nach wenigen Tagen hatte ich einen Job. 

Ich hatte das große Glück im Kaufhaus M. Schneider zu laden. Meine Oma fand das super, denn das Kaufhaus Schneider war ein frankfurter Traditionskaufhaus, familiengeführt, kompetent für Spezialinteressen wir Miederwaren oder Socken und eben auch Stoffe - ein Kaufhaus, das bei älteren Damen sehr beliebt war und hohes Ansehen genoss. Zunächst war ich etwas enttäuscht über die Zusage, hätte ich es doch viel cooler gefunden in einem etwas moderneren Ambiente zu arbeiten, bei dem mir die Personalprozente etwas dienlicher hätten sein können. Aber mit der Zeit lernte ich diesen Laden zu schätzen, arbeitete dort fünf Jahre und hätte das auch noch weiter getan, wenn nicht mein Stundenlohn zu mager gewesen wäre, um meine eigene Wohnung zu finanzieren. 

Von Anfang an, war ich der Stoffabteilung zugeteilt. Meine vorrangige Aufgabe war es, Stoff, der auf Rollen geliefert wurde, zu doublieren, das heißt zusammengefaltet auf eine Pappe zu wickeln. Dazu standen immer zwei SchülerInnen in eine Büroraum im vierten Stock nebeneinander an zwei Tischen, rollten ab und wickelten auf und schwätzten den ganzen Tag. Nach einiger Zeit durfte ich das erste Mal ins Lager. Ich fand es immens aufregend, in den Keller zu fahren. Es gab sogar noch einen Keller unter dem Kellergeschoß und alles war voller Stoff. Im Winter lagerten dort die Sommerstoffe und umgekehrt. Am Ende des Verkaufstages durften wir in die Stoffabteilung, um dort beim Aufräumen zu helfen. Wir wurden auch von KundInnen angesprochen, konnten aber nur wenig beraten und auch keinen Stoff abschneiden, denn jede Verkäuferin trug ihre eigene Schere an einem Band am Gürtel oder am Handgelenk befestigt. 

Am spaßigsten war es, in der Weihnachtszeit zu arbeiten. Während auf der Zeil den lieben langen Tag MusikerInnen Weihnachtslieder dudelten, tranken wir Glühwein aus der Thermoskanne, trugen Faschingshütchen und doublierten Karnevalsstoffe, denn diese Artikel mussten rechtzeitig vor Silvester für den Laden vorbereitet sein. Überhaupt, Alkohol war durchaus ein Thema bei diesem Job. Es gab mehr als eine Kollegin, bei der ein Alkoholproblem offensichtlich war und es gab eigentlich ständig Schnapspralinen und einen Sekt zum Feiern. Ich fühlte mich wahnsinnig erwachsen. 

Die Verkäuferinnen fanden es sehr hilfreich, uns SchülerInnen-Aushilfen für Botendienste zu nutzen. Mindestens einmal am Tag mussten wir ins Nachbarkaufhaus " zum Wulli" (Woolworth), um dort etwas zu besorgen - im Zweifelsfall die Schnapspralinen. Da das Doublieren auf die Dauer doch ein wenig monoton war, genoss ich diese Ausflüge. Aber ich war auch gerne vor Ort, denn ich liebte es auch, die Gespräche der Verkäuferinnen zu belauschen. In dem Raum, in dem wir doublierten, hatte die "Lagerverwalterin" ihr Büro. Diese war die Briefkastentante für die ganze Abteilung und so bekamen wir den lieben langen Tag lang Besuch von Verkäuferinnen, die uns ihr Leid klagten und dafür eine Praline bekamen. Ich lernte eine Menge über Eheprobleme, Zipperlein, die Wechseljahre und Ähnliches. 

Bevor ich in der Stoffabteilung zu Arbeiten begann, hatte ich schon einmal genäht: ich färbte ein altes Bettlaken lila, schloß es mit einer Seitennaht zum Rock, säumte es und nähte einen Tunnel für einen Gummizug. Fertig war mein Femistinnenoutfit. Es sah bestimmt hinreißend aus in dem langen lila Rock mit meinen grünen Haaren und der lila Windel um den Hals. Leider, leider gibt es davon keine Fotos. Natürlich bekam ich durch meinen Job Lust, mit dem Nähen zu beginnen. Ich hatte zwei mal die Woche mit den herrlichsten Stoffen zu tun - allerdings kaum Geld, um sie mir leisten zu können. 

Trotzdem, die Stoffe verzauberten mich. Immer wieder träumte ich beim Doublieren. Ich träumte von wallenden Kleidern, von edlen Roben und konnte mich nur schlecht auf Eheberatung und Zipperlein konzentrieren. Irgendwann beschloss ich, dass ich zwar keine Ausbildung in dem Kaufhaus machen wollte, aber alles über Stoffe lernen wollte, was es zu lernen gab und erzählte dies frech dem Abteilungsleiter. Was dann geschah, erzähle ich ein anderes Mal. 

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