Ihr kennt das wahrscheinlich. Es ist gar nicht so einfach, Outfitfotos zu machen, wenn der Mensch, sprich ihr selbst, darin steckt. Während ihr vermutlich alles, was ihr für Kinder näht, irgendwie süß findet und auch für die Freundin ein nettes Wort parat habt, seid ihr bei euch selber vermutlich etwas kritischer.
Ich habe hier im Blog schon öfters (2011 und 2015) über Fotografieren gesprochen und an meiner Erkenntnis von damals hat sich nichts geändert: Ich glaube nach wie vor, dass frau einfach viele Fotos machen muß, um dann die Besten auszusuchen. Die Fotos, die sie von sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, mit denen sie leben kann. Ich lösche dabei alle Fotos auf denen ich bekloppt aussehe und der faszinierende Effekt der letzten 8 Jahre ist: es gibt nur noch gute Fotos von mir und ich fing mit der Zeit an zu glauben, dass ich so prima, wie auf diesen Fotos aussehe.
Irgendwann kapierte ich, dass Fotos deswegen schwieriger als Filme sind, weil wir tatsächlich Sekundenbruchteile so bescheuert schauen. Diese Grimassen werden auf Fotos festgehalten, während in einem Film diese Sekundenbruchteile nicht auffallen, weil wir in Bewegung gleich wieder anders aussehen. Diese Erkenntnis bestätigte mich darin, beknackte Fotos von mir zu löschen. Wenn ein Foto schon nicht meinen Charme, meine Klugheit und meinen Witz festhalten kann, dann soll es wenigstens keinen schlechten Eindruck hinterlassen!
Posingtipps für Nähbloggerinnen?
Als ich im Herbst auf der Buchmesse das Buch "Professionelles Posing" von Hendrik Pfeifer entdeckte, überlas ich den Untertitel "Der Ratgeber für Fotografen und Models Grundlagen und neue Trends", denn mein Auge blieb auf dem runden Teaser "Leicht erklärt - perfekt für Anfänger" hängen. Ich dachte "Bingo, das ist doch was für Nähbloggerinnen!" Als ich das der freundlichen Damen am Stand des humboldt-Verlages erzählte, war sie erstaunt, denn diese Zielgruppe, hatten sie bisher nicht im Visier. Und das merkte ich dann auch am Buch, wie sich später herausstellte.
Als ich das Buch freundlicherweise vom Verlag zugeschickt bekam, hatte ich es schnell durchgelesen. Das Buch enthält ohnehin mehr Bilder als Wörter. Die Hälfte des Buchtextes wendet sich an Fotografen und glänzt mit Tipps, wie Körperpflege und Studio aufräumen. Die andere Hälfte des Buchtextes spricht vermutlich junge Mädchen an, die gerne Modell werden wollen. Aber darum geht es eigentlich nicht, denn das Buch hat sowieso wenig Text, aber dafür viele Bilder. Klar doch, es geht ja auch um Posen. Auch wenn ich von diesen Posen vieles für uns nicht für umsetzbar halte, denn wir wollen doch, im Gegensatz zu einer großen Nähzeitschrift, auch zeigen, wie unsere Outfits aussehen, statt einfach nur ein Lebensgefühl zu vermitteln, finde ich die Vielfältigkeit der Abbildungen doch inspirierend. Alleine der Gedanke, sich mal im Sitzen zu zeigen, ist gut. Denn wenn frau bedenkt, wie viele Stunden wir im Leben sitzend in unseren Kleidern zu bringen, ist es durchaus von Interesse, die auch mal im Sitzen zu fotografieren. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich eine bestimmte Rockform aussortierte, nachdem ich sie mal im Sitzen fotografiert hatte!
Ein Tipp ist aber nach dem Lesen bei mir hängengeblieben und ich denke jedes Mal daran, wenn ich die Kamera aufgebaut und den Fernauslöser in der Hand halte: Wenn mir gar nicht einfällt, was ich machen soll, beginne ich auf der Stelle zu Gehen (ohne die Füße dabei vom Boden zu heben), um meinen Körper in Bewegung zu bringen. Ich verlagere immer abwechselnd das Gewicht von dem einen Bein auf das andere und mit der Zeit gewöhnt sich mein Körper an den Schwung und fängt an, sich von selbst noch weiter zu bewegen. Für eine Situation ohne Musik, ist das der perfekte Tipp - ansonsten bevorzuge ich es nach wie vor, meine Lieblingsmusik zum Fotografieren laut anzumachen und dazu zu tanzen.
Doch was das Buch nicht klärt, ist, wie mit der grundsätzlichen Hemmung umgegangen werden kann, sich beim Fotografieren unwohl zu fühlen. Da das Buch als Zielgruppe Modells hat, schließt es diese Voraussetzung aus. Es zieht zwar Verlegenheit ob der Begegnung mit dem unbekannten Fotografen in Betracht, aber die Voraussetzung ist der Wille, fotografiert zu werden. Bei Nähbloggerinen ist das vermutlich etwas anders, da geht es ja um das Kleidungsstück und nicht um den Wunsch, ein tolles Foto von sich zu haben, um damit berühmt zu werden.
Fragen über Fragen
Was macht das fotografiert werden so schwierig? Woher kommt diese Angst, sichtbar zu werden, Was hemmt uns so davor, vor der Kamera uns selbst zu zeigen oder zumindest eine Pose vorzuführen, wie wir gesehen werden wollen? Was unterscheidet uns erwachsene Frauen von den jungen Frauen, die ganz selbstverständlich Selfies machen? Und überhaupt, können wir da von "den jungen Frauen sprechen" oder sind da auch nur einige wenige dieser Generation so selbstverständlich sichtbar? Welche Annahmen hemmen uns und wo ist die tiefere Ursache dafür. Warum können wir Wörter wie Schönheit oder Attraktivität so wenig auf uns selbst beziehen? Was machen die Bilder von Frauen in der Öffentlichkeit mit uns, dass es uns schwer fällt, unsere Individualität anzunehmen und schön zu finden? Suchen wir stets die eine Schönheit oder können wir Vielfalt als bereichernd empfinden? Das sind Fragen, die mich immer und immer wieder beschäftigen.
Bei mir hat es irgendwann "klick" gemacht und Fotografieren war plötzlich nicht mehr schlimm. Im Gegenteil: mittlerweile genieße ich es sogar, besonders dann, wenn ein professioneller Kameramensch sich mir widmet (aber Outfitfotos zuhause vor der Klotür mit klingelndem Telefon und nörgelndem Kind, stressen mich nach wie vor.) Ich würde zu gerne erklären können, was genau passierte, das es mir plötzlich so leicht machte, damit auch andere Frauen Erleichterung bekommen. Denn auch wenn es in Nähblogs eigentlich um die Outfitfotos geht, geht es mir doch um viel mehr. Wenn ihr euch wohlfühlt in eurer Haut und in euerer Kleidung, wenn ihr das Gefühl habt, attraktiv zu sein, dann traut ihr euch viel mehr zu. Ihr traut euch, sichtbar zu werden, in den Vordergrund zu sehen und den Mund auf zu Machen. Ihr lasst nicht mehr nur den wenigen die Bühne, die sie schon seit langem in Besitzt genommen haben, sondern ihr bereichert die Welt mit euren Ansichten und euren Erfahrungen. Das stelle ich mir ganz wunderbar vor!
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