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Brauchen wir Kreativität?

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Gestern las ich Frau Mima ein Post, dessen Inhalt und Kommentare mich im Nachhinein sehr erstaunten. Es ging um Unbehagen und auch Beschämen im Umgang mit Kreativität und DIY, es wurden kritisch Materiallager und Konsum diskutiert, obwohl das Anfeuern von Gelüsten und die Überschreitung von Grenzen zwischen Privatem und Geschäft bei vielen Blogs im DIY-Bereich ganz normal ist. Sichtlich waren die Diskutierenden betroffen. Ich nicht. Ich hatte den Beitrag auf dem iPad gelesen, da er mich nicht berührte, habe ich ihn ähnlich schnell weggeblättert, wie ein Bild von einem Kleidungsstück, das mir nicht gefällt. Ach, dachte ich, als ich das las. Achja. Und?

"Dieses Mal geht es um K R E A T i V i T Ä T und mein wachsendes Unbehagen an ihr. Bei aller Liebe wird sie mir nämlich langsam suspekt. Mitschuld daran tragen vor allem zwei Bücher: Die Erfindung der Kreativität von Matthias Reckwitz und Don´t do it yourself von Lisa Anne Auerbach. Beide Autor/innen setzen sich – aus verschiedenen Richtungen kommend – mit den gegenwärtigen Phänomenen der Kreativität auseinander und kommen zu einem Schluss: Kreativität als Idee für ein selbstbestimmtes, schöpferisches Leben und Gegenmodell zur Konsumgesellschaft sei gescheitert. Eine These, die mich als 'Kreativitätsgläubige' ziemlich verunsichert und die ich darum hier zur Diskussion stellen möchte. "
(Zitat aus dem Beitrag von Frau Mima "Don't do it yourself - oder das Unbehagen an der Kreativität)


Meine Näh-und-Weltversteh-Kränzchen diskutierte gestern abend noch über diesen Post. Also las ich ihn noch einmal Vielleicht hatte mich die Art und Weise, wie das an sich interessante Thema aufbereitet wurde nicht berührt, weil ich die Kreativität und das, was ich anstelle, nicht so hype. Klar, ich fotografiere meine genähten Werke und zeige sie und natürlich bin ich auch stolz darauf, aber ich habe eher das Gefühl, etwas Notwendiges für mich zu tun, als besonders kreativ zu sein. Wenn ich etwas handwerklich gut gemacht habe, dann lerne ich dadurch das Handwerk zu schätzen. Das unterstützt mich darin, immer wieder Geld für gut Gemachtes auszugeben und darauf zu sparen, wenn das Geld gerade nicht herumliegt. Ich nähe oder stricke, wenn ich ein Bedürfnis auf das Tun oder das Produkt habe habe, aber ich habe nicht den Anspruch, nun in allen möglichen textilen oder nicht textilen Techniken aktiv oder sogar kreativ zu werden. Mich interessiert das, was das Selbst gemachte mit mir macht. Und ich habe noch ein Leben neben dem Blog.

Früher habe ich Kreativitätstrainings gegeben, das passte schön in mein Erwachsenbilduns-Portefolio und war amüsanter als immer nur Projektmanagement. Ich machte hübsche Spielchen mit den Erwachsenen und wir hatten Spaß. Manch einer hatte nen Aha-Effekt, wenn er oder sie erfuhr, dass der Blickwinkel oft beschränkt ist und wie spannend es ist, mal über die vorher nicht wahrgenommenen Grenzen zu schauen. Mir war jedoch immer klar, dass ein Tag Kreativitätstraining das Leben und das Arbeiten nicht verändern würde. Es war Teil der Personal-Entwicklungsmaßnahmen fürs Image - aber davon sollte möglichst wenig in den Arbeitsalltag übernommen werden, um ja nichts durcheinander zu bringen. So weit und gut mit der Kreativität. Ich nahm und nehme sie nicht besonders ernst.

Damals hatte ich noch kein Hobby und sah etwas abschätzig auf Menschen, denen ihre Arbeit anscheinend so wenig Spaß bringt, dass sie zum Ausgleich ein Hobby brauchen. Das war natürlich dumm von mir. Heute habe ich ein Hobby, weil ich etwas, was nicht direkt zu meiner Arbeit gehört in meiner Freizeit mache und schätze den damit verbundenen Austausch mit Menschen, die ähnliche Dinge egal ob während der Freizeit oder beruflich machen. Das ist schön. Ob das, was ich mache, kreativ ist? Für mich unwichtig. Was ist eigentlich Kreativität? Ob jetzt aber das, was wir hier tun etwas mit der Arbeitswelt zu tun hat? Ob das, was ich früher unter dem Thema Kreativität unterrichtete und das, was ich in meiner Freizeit tue zusammenhängt? Ob wir das, was wir im Hobby lernen und ausprobieren in anderen Themenbereichen einsetzen? Keine Ahnung.

Es ist mir herzlich egal, ob das Bekleben der Lebenswelt mit Masking Tape, Papiergirlanden auf selbst gebackenen Muffins oder umhäkelte Laternenpfähle nun kreativ sind oder nicht. Vielleicht ist es das Gleiche wie "machen wir doch mal nen Brainstorming". Manchmal kommt etwas Ungewöhnliches dabei heraus und verändert diejenigen, die damit zu tun haben, manchmal nicht. Mir ist das aber egal und ich muß es schon gar nicht mit dem Label "Kreativität" behängen, nur um es wertvoller zu machen. Wollte ich wirklich etwas Neues schaffen, würde ich Schnittmuster wegwerfen und meinen RSS-Reader mit den Blogs löschen. Will ich aber nicht.

Ich glaube, dass die inflationäre Verwendung des Wortes Kreativität, sei es von denen, die sie ausüben und die Ergebnisse zeigen, von denen die ihre Produkte unter dem Label Kreativität verkaufen oder von denen die sie kritisch betrachten, letztlich völlig unnötig aber im kapitalistischen Wirtschaftssystem logisch ist, dann da, wo Beteiligung ist, ist ein Markt. Was unsere, in vielen Bereichen verkorkste, Welt braucht, ist Menschen, die die gewohnten Denkbahnen verlassen und den Mut haben, etwas Neues zu wagen, etwas anderes zu tun, auszusprechen, was sie denken und diejenige zu sein, die sie sein möchten. Brauchen wir dafür Kreativität?

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