Tja,
das Kleid ist tatsächlich fertig geworden, ich habe es getragen und das war gut so. Als ich im Vorfeld meiner Vorbereitungen für meinen Vortrag auf der
Internetkonferenz nebenan mehr Zeit in das Nähen meines Kleides investierte, als in meine Präsentation, war mein Mann mehr als irritiert. Vielleicht lag es daran, dass mir Präsentationswerkzeuge nicht wirklich liegen, aber mehr noch, war es mir einfach wichtig, an diesem aufregenden Tag genau so auszusehen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es ist so unglaublich toll, dass wir Nähnerds so großen Einfluss darauf haben, wie wir aussehen und wie wir wahrgenommen werden, da konnte ich mir doch nicht die Chance entgehen lassen, mein Bild von mir, so wie ich es mir vorgenommen hatte, zu verwirklichen!
Auf den letzten Drücker wurde ich fertig. Um kurz nach 9 Uhr, am Sonntag morgen, legte ich die Nadel aus der Hand, nachdem ich in der Nacht schon - ganz Dramaqueen - befürchtete, dass alles im Eimer wäre.
Es war mir sehr wichtig, gut auszusehen, auf der Konferenz, war es doch das erste Mal, dass ich mit meinem Herzensthema an die analoge Öffentlichkeit gegangen bin. Obwohl wir zwar öffentlich und für jeden Mensch zugänglich bloggen, war es doch ein großer Schritt für mich, die Nähnerd-Nische ins Rampenlicht zu holen und anderen vorzustellen. Ganz abgesehen davon hatte ich die Sorge, dass das, was ich erzählen wollte, auf wenig Interesse oder Ablehnung stoßen würde, denn schließlich erzählte ich von "Frauenkram", der nicht überall ein gutes Image hat. In der Woche vorher, hatte meine Familie eine sehr nervöse und angespannte Frau zu ertragen und trug dies glücklicherweise mit Fassung.
Und es hatte sich gelohnt. Mein Vortrag wurde unheimlich freundlich und begeistert aufgenommen. Das hätte ich niemals erwartet! Nach dem Applaus, war ich freudig überrascht; von der
Reaktion auf twitter überwältigt!
Was habe ich erzählt? Nun, den Vortrag wird es - sollte die Bildqualität trotz suboptimaler Lichtverhältnisse - ausreichend sein, demnächst online geben. Aber für alle diejenigen, die neugierig sind, berichte ich vorab.
Um für das, für andere exotische Thema "Näh-Blogs", zu werben, begann ich mit einer Anekdote über eine Reise, auf der ich schrullige Menschen kennenlernte, die mich mit ihren - in meinen Augen exotischen - Hobbys begeisterten, einfach, weil ich mich darauf einliess. Das lehrte mich, wie attraktiv Menschen werden, wenn sie leidenschaftlich erzählen und wie sehr es den eigenen Horizont erweitert, wenn frau die Chance nutzt, über den Tellerrand zu blicken. Ich erzählte dann von meiner Begeisterung für Blogs. Auch wenn immer mal behauptet wird, dass das Bloggen seinen Zenit überschritten habe ich die Hypothese, dass das nicht stimmt. Ich formuliere das so: Bloggen ist ist Mainstream angekommen, es gibt unzählige Themenblogs in unzähligen Nischen. Wer die Nase rümpft und dieses "Hobbythemen" als "Cat Content" abtut, der nimmt diese rege Nutzung der Chance, dass wirklich jede und jeder die Chance hat, im Internet zu publizieren, nicht war. Ich finde das großartig, deswegen bezeichne ich mich auch als Internetoptimistin.
Ich beschloss davon zu berichten, worüber ich mich auskenne: unsere gemütliche Nähnerd-Nische im Internets. Ich erzählte, dass wir eine Teilmenge der DIY-Blogs sind und dass es viele andere Nähblogs gibt, die andere Dinge nähen - ungeplant entwickelte sich in meiner Rede der running Gag, dass "Kissen nähen" eben keine Nähnerdaufgabe ist. Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass wir natürlich doch auch immer mal so Sachen wie Kissen nähen, aber das ist eben nicht der zentrale Punkt, über den wir bloggen. Mir ging es darum, von unserer Ecke des Internets zu berichten, wo sich Frauen gut vernetzt und mit konstruktivem Miteinander bloggen, die ihre eigene Kleidung nähen. Ich erzählte, dass ich es wichtig finde, dass wir nett miteinander umgehen, ohne Oberflächlich zu sein, dass wir voneinander lernen und dass wir uns alle ständig weiterentwickeln. Ich berichtete von dem Mut, den es die Einzelne kostet, Bilder von sich und dem Werk ins Internet zu stellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Mut nur aufgebracht wird, weil wir einen wertschätzenden Umgang pflegen und uns gegenseitig ernst nehmen - auch wenn wir alle unterschiedlich sind und uns im "echten" Leben möglicherweise nie begegnen würden, weil wir so unterschiedliche Leben leben.
Als ich davon erzählte, dass es uns verändert, täglich oder wöchentlich über Monate oder Jahre echte - gut angezogene - Menschen zu sehen, die sich von den gefotoshopten Bildern in den Medien unterscheiden merkte ich, wie das das Publikum sichtlich berührte. Viele kannten sicherlich
#609060, (einer großartigen Aktion von
Journelle, bei der sich regelmäßig Menschen in ihren Outfits fotografieren und die Bilder veröffentlichen), aber ich glaube mit den Zahlen, die ich von unserer Nische des Internets berichtete, über Blogs, den Me Made Mittwoch, die Besuche, die aus der Verlinkung dort folgen und die Kommentare, die wir uns Mittwoch für Mittwoch schenken, habe ich gezeigt, dass wir zwar eine Nische sind, aber durchaus immens Wirkung erzielen. Die Zahlen waren grob geschätzt und die Einzelne wird möglicherweise denken "ach, so viel, das ist bei mir aber noch nicht" - das mag sein, aber über den Daumen gepeilt kommt es hin und ist wirklich beeindruckend, sich zu überlegen, dass Woche für Woche 25.000 Menschen den aktuellen Me Made Mittwoch Post lesen und von dort aus weitersurfen. Doch wen kümmert die Zahlen?! Mich nicht wirklich? Viel mehr, als die Quantität dessen, was wir tun, interessiert mich die Qualität!
Als ich von mir erzählte, dass es für mich relevant ist, so oft "echte Menschen" im Internet zu sehen und zu lesen, wie sie an sich, ihren handwerklichen Fähigkeiten arbeiten, wenn ich beobachte, welche Werke entstehen und wie sich die einzelnen weiter entwickeln und dass das alles mir half, ganz klar "ich bin ok, so wie ich bin" zu sagen, gab es Szenenapplaus. Das freut mich total, denn eigentlich ist ja genau das der Punkt, der mein Herz erwärmt. Ich finde es einfach wunderbar, wie sich meine Sehgewohnheiten durch die intensive Beschäftigung mit Nähnerd-Blogs verändert hat und wie ich mich dadurch verändert habe. Mein Bild, wie eine Frau zu sein hat, hat sich verändert und ich habe mich verändert - wie großartig! Und ebenso großartig ist es, dass ich damit nicht alleine bin!
Das alles ist möglich, weil wir einen konstruktiven Umgang miteinander haben, weil Lernen im Vordergrund steht und persönliche Entwicklung damit einher geht. Ich weiß, dass es nicht überall in den Weiten des Internets so flauschig ist - umso wichtiger finde ich, das was wir machen, mit Wertschätzung zu betrachten. Und genau deswegen nannte ich meinen Vortrag: Die schöne(n) Seiten des Internets - Wertschätzung ist unsere Währung.
Ich könnte noch viel mehr erzählen, aber mittlerweile gehen meine Eindrücke ganz schön durcheinander. Ich würde euch noch gerne erzählen, wie inspirierend ich
die anderen Vorträge auf der nebenan fand, aber das würde diesen Beitrag dann doch zu lang machen. Schaut euch die Videos an, wenn sie online sind und lasst euch ruhig von Vorträgen überraschen, auch wenn euch das Thema erst einmal von der Überschrift her kalt lässt. Genau das machte den Charme dieser - wie versprochen - freundlichen Konferenz aus, dass sich Leute auf eine bunte Themenvielfalt ein- und inspirieren liessen. Es war wirklich toll, ein Teil davon zu sein!
Ich freut mich wirklich sehr, dass meine Begeisterung für das, was ich hier, in unserer Nische erlebe, auch andere interessierte, die bisher mit dem Nähen und Nähblogs noch nie etwas zu tun hatten. Wenn das Video online ist, dann sage ich hier bescheid. Einen schnellen Bericht über meinen Vortrag könnt ihr
hier lesen und auf twitter findet ihr ein paar Bilder und die überwältigenden Rückmeldungen, wenn ihr diesem
Link folgt. Meine "Folien" zum Vortrag seht ihr unten. Und das Kleid, das stellte ich bei Gelegenheit noch mal genauer vor - wenn ich es schaffe, dann schon morgen beim
Me Made Mittwoch.