Quantcast
Channel: crafteln
Viewing all articles
Browse latest Browse all 689

Was Nähkrisen mit dem Leben zu tun haben

$
0
0
Was mache ich nur mit dieser Näh-Krise? Dass ich immer noch mittendrin stecke, merkte ich gestern dank eines Kommentars auf twitter, der mich daran erinnerte, dass ich früher - ach früher! - immer Sonntag abends genäht hatte. Auch gestern hatte ich das Wohnzimmer für mich und dann einer Extratasse Kaffee war ich auch nicht müde - aber Lust zum nähen hatte ich nicht. "Nähen geht immer" schrieb Frau Strich und Faden, letztens auf twitter, selbst mit Migräne und ich fragte mich, wo eigentlich mein "immer" geblieben ist. 

Heute morgen schlich ich dann schlecht gelaunt durch die Gegend und schaffte es, Schritt für Schritt meine Nähkrise in eine Lebenskrise umzuwandeln. Schuld ist nicht das Nähen, schuld ist das Leben. Ich habe einfach kein Leben für meine Kleider. Ich weiß nicht, was ich nähen will, weil ich einfach nicht weiß, wie ich leben will. Wechseljahre ohne Ziel. Übergangsmoratorium der feinsten Art. 

Dreh- und Angelpunkt ist natürlich das Leben, sprich die Rollen, die ich tagtäglich bzw. im Laufe des Jahres einnehme. Für diese verschiedenen Rollen brauche ich etwas zum anziehen, in dem ich mich wohl fühle. Sind die Rollen durcheinander, ist möglicherweise auch der Kopfkleiderschrank überfordert. Nach wie vor habe ich das Problem, dass ich als Freiberuflerin-und-Muddi viel zu wenig Gelegenheiten habe, etwas Schickes anzuziehen. Wozu also die schönen Kleider? Wozu also Kleider, die ich bügeln muß? Ich nähe nun am vierten Hemdblusenkleid aus Baumwolle der Saison und ziehe die anderen drei überhaupt nicht an. Wozu also an den Ming-Vasen weiternähen? Kein Wunder, wenn ich dazu keine Lust habe. 

Es gibt in Berlin am Maybachufermarkt diesen Stand mit den hübschen Baumwollstoffen. Nennt man so etwas Patchworkstoffe? Schöne Farben, reizende Muster, schöne Qualität. Letzte Woche dachte ich, ich könnte nicht leben, ohne diese Pagodenstoff auch zu haben, aus dem erst Frau Nahtzugabe "das 400-Euro-Kleid" und dann Frau sewing addicted den Traum in Rot nähten. Das ist ein Stoff mit Potential. Ein Stoff, wie ich ihn mag. Einfach ein bißchen anders. Ich finde ihn großartig. Genau wie die verrückten Ming-Vasen und die Schwalben. Ach ja, die Schwalben. Die unvernähten Schwalben. Ich finde, diese Stoffe passen zu mir. Ich mag das Besondere, ich mag Farben, ich mag das ungewöhnliche; aber ich habe keine Ahnung, was ich daraus nähen könnte, denn baumwollene Kleider mag ich nicht. Zumindest zur Zeit nicht, wohlwissend, dass ich hier noch einen wunderbaren Schnitt herumliegen habe, den mir dankenswerter Weise Frau Kleines Haus vermacht hat und den ich eigentlich auch noch unbedingt vernähen wollte. Und dann gab es noch diesen wunderschönen Blümchenstoff von Frau Anneblog , der auch noch hier herumliegt. Bin ich gierig? Warum will ich das Zeugs unbedingt haben, obwohl ich dann nichts daraus mache oder das, was ich daraus mache nicht anziehe? Ich fühle mich furchtbar mit diesen Projekt-Leichen. 

Mir fällt dazu nur das Wort "Jersey-Mädchen" ein. Natürlich bin ich kein Mädchen, sondern eine Frau, aber es erinnert mich an "Pony-Mädchen" und "Pony-Mädchen" sind in der Pubertertät und wissen nicht, wer sie sind und wohin mit sich. Genauso fühle ich mich, auch wenn meine Pubertertät wohl eher Menopause heißt. Die Freiberuflichkeit und das in großen Schritten selbständiger werdende Kind, zwingen mich, immer wieder und zur Zeit ganz besonders, mein Leben in Frage zu stellen, neu herauszufinden, was ich sein und machen will. Ich habe das Gefühl, mal wieder "auf Null zu stehen" und die Chance, aber auch die Aufgabe zu haben, alle Weichen neu zu stellen. Es bleibt die Frage, ob die Garderobe dann das Huhn oder das Ei ist. Finden sich die Aufgaben zu den Kleidern oder die Kleider zu den Aufgaben? 

Catherines Kostüm-Sew-Along wäre eine Möglichkeit, mich aus der Näh-Krise zu holen. Ein Kostüm ist eine feine Sache im doppelten Wortsinn. Feine Sachen braucht frau, um wichtige Gespräche zu führen, mit einem Kostüm ist frau immer gut angezogen und eine Jacke brauche ich sowieso bald wieder. Einen Blazer wollte ich schon lange nähen, denn ich mag es, wenn die Jacke Form gibt und trotzdem nicht so ein großes Ding ist, wie ein Mantel. Trotzdem kommt es mir wahnsinnig, sprich zu ambitioniert, vor, von einer Näh-Krise aus direkt in einen Kostüm-Sew-Along zu starten. 

Ich brauche etwas zum warm-nähen. Natürlich aus Jersey. Wie kann es anders sein. Heute morgen dachte ich, dass das einzig Positive am kommenden Herbst doch sei, dass ich das Anlass-Kleid und das Dodo-Kleid bald wieder anziehen kann und dann sah ich die Bluse bei Monika. Ab gesehen davon, dass meine Augen natürlich an dem Muster hängen blieben, finde ich die Idee, einer Jerseybluse ganz inspirierend. Vielleicht muß ich ja Hemdblusenkleider aus Jersey nähen! Vielleicht liegt es einfach nur am Baumwollstoff, der zwar schön ist, aber so wenig zu meinem Leben passt. Vielleicht sollte ich diesen hübschen Jersey, der darauf wartet, das nächste Ajaccio zu werden, doch lieber in ein Hemdblusenkleid verwandeln? Ich glaube, ich versuche es. Jetzt. 

Viewing all articles
Browse latest Browse all 689