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Warum ich gerne im Stoffladen arbeite (2)

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Im April bin ich ständig unterwegs und habe keine Zeit, zum Bloggen. Deswegen habe ich euch noch etwas vorbereitet, damit hier auf dem Blog trotzdem ein bißchen Leben ist. 

Es hat richtig Spaß gemacht, die Erinnerungen meiner Stoffladen-Zeit vor 30 Jahren aufzuschreiben. Weiter geht's! Ihr erinnert euch? Nachdem ich einige hundert Meter Stoff doubliert hatte, bei meinem Schülerinnenjob in der Stoffabteilung eines Kaufhausses, wahr meine Stoffleidenschaft geweckt und ich wollte mehr. Jetzt wurde es spannend!

Der Abteilungsleiter sprach mich 16-Jährige immer mit "Fräulein" an. Das gefiel mir gar nicht, war aber nicht zu ändern. Herr Ka war zunächst etwas irritiert von meiner Neugier, schließlich war ich nur eine Schülerin, aber zunehmend amüsierte und gefiel ihm mein Wissensdurst. Er bedauerte die Interessenlosigkeit der Auszubildenden, die stets auch ein halbes Jahr in der Stoffabteilung zu lernen und zu arbeiten hatten, sehr. Die Wenigsten interessierten sich für Stoffe und das Nähen - es war mir allerdings ein Rätsel, wofür sonst sie sich in dem trutschigen Kaufhaus hätten begeistern können. Hin und wieder war eine Auszubildende dabei, die sich in er Stoffabteilung wohl fühlte, aber meistens war es ein Kommen und Gehen von Auszubildenden, die bei mir keinen Eindruck hinterließen.

Nach einigen Wochen des Stoffe Doublierens klärte ich also den Abteilungsleiter darüber auf, dass ich nun alles lernen wollte, was man in seiner Abteilung so lernen könnte, aber nicht vor hätte, eine Ausbildung zu beginnen, weil ich lieber studieren würde. Sobald er in meiner Nähe ein Fachgespräch führte, klebte ich an seiner Seite und irgendwie gefiel ihm das, denn nicht sehr oft wurde der arme Mann in dieser Damen-Welt so ernst genommen. Mich interessierten besonders die Materialproben. Ich liebte es, wenn einem Stoff die Deklarierung fehlte und wir ein kleines Stückchen anzündeten, um herauszufinden, aus welchem Material - oder noch figelinscher aus welchen Materialien - der Stoff bestand. Ich lernte die unterschiedlichsten Düfte zu unterscheiden, die beim Verbrennen von Naturmaterialien und Kunststoffen entstehen und die Asche oder Pastikklumpen zu analysieren. Ich war schwer beeindruckt, wenn der Abteilungsleiter und die Lagerverwalterin über prozentuale Anteile fachsimpelten und gab natürlich auch prompt meinen Senf dazu.

Ich begann mich für die Lieferscheine zu interessieren und war begeistert, aus wie viel verschiedenen Ländern und Regionen der Welt wir Stoffe geliefert bekamen. Ich schnupperte ausgiebig an den Stoffen und konnte nach einiger Zeit mit geschlossenen Augen erriechen, was für Stoffe woher kamen. Heute kann ich das nicht mehr - ich vermute, dass damals einfach weniger Chemikalien verwendet wurden, um Stoffe transportfähig und haltbar zu machen oder die Globalisierung hat die verwendeten Chemikalien vereinheitlicht. Aber es ist total verrückt, ich rieche in Erinnerung immer noch Seide aus Thailand oder italienische Stoffe. Es war so unglaublich aufregend, ein Paket zu öffnen, die Augen zu schließen und nur zu fühlen und zu riechen, eine Stoffrolle zu nehmen, den Stoff abzuwickeln und den Stoff anzufassen und ihn kennenzulernen.

Mich interessierte einfach alles. Ich staunte über Muster und welche Namen diese Muster hatten. Ich streichelte Drucke und bewunderte Webarten. Ich fragte mich, wer es ertragen könnte, Plastikstoffe zu tragen und wer es sich leisten könnte teure Seiden und Spitzen zu kaufen und sich trauen würde, diese auch noch zu zerschneiden. Ich lernte unzählige Varianten von weiß zu unterscheiden und zu benennen, ich versuchte ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Farben und Qualitäten miteinander gehen und welche nicht. Für mich war Stoff erst einmal nur Stoff. Da ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht nähte, gab es eine große Lücke zwischen Stoff und Kleidungsstück, die sich mir gedanklich noch nicht mal als Frage stellte. Für mich waren die Stoffe Rohmaterialien, die an sich faszinierend waren und von deren Schönheit ich bezaubert war.

Immer öfter erzählte mir der Abteilungsleiter, woher er die Stoffe bekommen hatte, wie er auf Messen mit Händlern gesprochen hatte und welche Schnäppchen er wo erjagt hatte. Ich konnte es kaum erwarten, auch mal zu einer Messe zu gehen oder zu einem Stofflieferanten zu reisen und lag Herrn Ka monatelang in den Ohren mit meinem Wunsch. Das war natürlich ein verrückter Traum, denn wer war ich denn, ich war ein minderjährige Schülerinnenaushilfe. So jemand nahm man doch nicht mit. Also begnügte ich mich mit den Erzählungen und hätte es damals schon das Internet gegeben, so hätte ich manchen Lieferantennamen gegoogelt, um mehr zu erfahren.

Immer öfter durfte ich nun auch in den Verkaufsraum, den es wurde immer offensichtlicher, dass ich mich einigermaßen mit den Stoffen auskannte. Mit diesem Know How war ich 1a dazu geeignet, den Laden aufzuräumen. Nur verkaufen konnte ich nicht, ich hatte ja keine Schere. Ich nutzte jede Gelegenheit, um doublierte Rollen in die Verkaufsabteilung zu bringen und sie dort einzuräumen, um Zeit am Ort des Geschehens zu verbringen, denn es war für mich unendlich reizvoll, gemeinsam mit KundInnen nach dem perfekten Material für sie und ihr Projekt zu suchen. Mit der Zeit gewöhnte sich er Abteilungsleiter und die Verkäuferinnen daran, dass ich so oft im Verkaufsraum herumlungerte, so dass ich angeboten bekam, Pausenvertretungen zu übernehmen, was ich dankend annahm, denn so kam ich in den Genuss einer Schere! Zunächst war die Schere immer nur geliehen. Die Kollegin, die in die Pause ging, überließ mir ihre Schere. Aber als eine ältere Kollegin in Rente ging, übergab sie mir feierlich ihre Schere, die ich noch heute habe und nutze. Fortan war ich befördert: ich war eine Schülerinnenaushilfestoffverkäuferin und durfte immer öfter in Urlaubszeiten richtig Stoff verkaufen.

Die Verkäuferinnenkolleginnen war alle uralt, aber das war ja eigentlich alles in diesem Kaufhaus. Die Verkäuferinnen waren alt, die KundInnen waren alt und das, was es dort zu kaufen gab, war solide altmodisch. Im Rückblick waren die Damen vermutlich so alt, wie ich es nun bin, aber aus der Perspektive einer Schülerin waren natürlich alle alt, die älter als die eigene Mutter waren. Nur die Substitutin, die stellvertretende Abteilungsleiterin, trug Hosen, alle anderen Verkäuferinnen trugen knielange Röcke und Blusen, fragt mich nicht, ob selbstgenäht oder nicht. Ich habe auch nie gefragt. Diese älteren Damen wirkten so, als hätten sie schon ihr Leben lang in der Stoffabteilung dieses Kaufhauses gearbeitet gelebt und wahrscheinlich war das auch so, dass sie als Lehrmädchen dort hängen geblieben sind. Sie hatten ein gesundes Misstrauen gegenüber uns jungen Dingern, was sie aber nicht davon abhielt, uns zu Botengängen und niederen Dienstleistungen zu verpflichten. Ich hatte zum Teil etwas Angst vor den alten Drachen, aber da ich beim Doublieren eigentlich schon zufällig in deren verschwiegensten Geheimnisse eingeweiht war, konnte ich damit recht gut umgehen.

Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die moderige Atmosphäre dieses alteingesessenen Kaufhauses und lernte zu schätzen, dass es dort noch Fach- und Beratungskompetenz gab. Es ist eben ein Unterschied, ob man Socken im Fünferpack beim Discounter kauft oder sich in einer solchen Sockenabteilung beraten lässt. Und wenn man ganz nach hinten, um viele Ecken und Windungen sich in die Wäscheabteilung vorwagte, wurde man mit engem Maßband vermessen und bekam auch auf Wunsch sündige Wäsche gereicht - falls frau vergaß den Wunsch zu äußern, war alles Angebotene aber natürlich nur praktisch "in haut", aber passgenau! In allen Abteilungen spielte Beratung eine große Rolle, auch wenn ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass die Möbelabteilung jemals von einem Kunden betreten wurde. Zeit spielte wenig Rolle. Es wurde so lange ausführlich beraten und Alternativen aus dem Lager geholt, bis der oder die Kundin zufrieden war und eine Menge Geld in die Kasse gespült hatte.

Billig war es dort nicht, nur zu Schlussverkauf, aber dafür wurde dann auch extra Posten für die dort so genannten "Türkentische" eingekauft. Schon eine Stunde vor Verkaufsbeginn des Schlussverkaufes, stand eine Gruppe von Frauen mit Kopftuch und weiten dunklen Mänteln vor dem Kaufhaus und wartete darauf, dass es öffnete. An diesen Tischen wurden natürlich die Auszubildenden und ich eingesetzt, denn da ging es hoch her und Beratung war nicht gefragt. Ich staunte, dass die Frauen unzählige Meter Stoff kauften: 5, 6, 7 Meter am Stück - während die gut betuchte ältere Dame, die sonst zu unseren Kundinnen zählte, in der Regel 55 - 65 cm erwarb. Ich fragte mich, was sich unter den langen schwarzen Mänteln verbergen könnte und auch wenn es sich um Stoffe für wenig Geld handelte, die mir viel zu knisterig waren, vermutete ich doch in der Farbenpracht fantastisches Selbstgenähtes unter den Mänteln. Der Schlußverkaufspuk war nach zwei Stunden vorbei und die im Vorfeld dafür besorgten Stoffe verkauft und dann ging es wieder zum Alltag und den üblichen 60 cm zurück.

Irgendwann fragte man mich, ob nicht auch mal in der Schnittmusterabteilung Pausenvertretung machen könnte. Nicht ahnend, was auf mich zu kommen würde, sagte ich leichtfertig ja, in der Annahme, dass es reichen könnte, die Kasse zu bedienen und mich in den numerisch sortierten Schubladen auszukennen. Aber darüber schreibe ich ein anderes Mal....

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