Irgendwie liegt es in der in der Luft, dass Nähen einen Popularitätsschub bekommen könnte. Die englische Sendung über das Nähen
Great British Sewing Bee wird gerade in der dritten Staffel ausgestrahlt und bekommt nach und nach Kinder: es gibt einen
französischen Ableger, einen
Niederländischen, es gab wohl eine norwegische Sendung über das Nähen,
im deutschen Regionalfernsehen im Kabelnetz und für ganz Deutschland und auch in
Amerika gab es immerhin schon mal einen
Aufruf zum Casting. Fernsehen ist ein Massenmedium - das Thema Nähen scheint nun massenkompatibel zu werden. Vor einigen Jahren begannen die
Kochsendungen die deutsche Fernsehlandschaft zu überschwemmen - wieso sollte das, was beim Kochen möglich ist, nicht auch mit dem Nähen möglich sein. Vermutlich hätte vor 20 Jahren noch jeder Sender abgewunken, wenn jemand eine Kochsendung realisieren wollte von wegen "das muß man riechen und schmecken, die Botschaft bekommen sie nicht über das Fernsehen realisiert" oder "wer interessiert sich schon fürs Kochen, die Welt freut sich über Convienienceprodukte" oder aber "Kochen? Das ist doch nur was für Frauen!". Aber das scheinbar Unmögliche wurde möglich und obwohl
Kochsendungen schon länger todgesagt wurden, gibt es sie immer noch.
Gleichzeitig schwant es nicht nur mir, dass Nähen auch anderweitig aufgewertet werden könnte. In der englischen dritten Staffel der Great British Sewing Bee gibt es auf einmal Männer, die richtig nähen können, mindesten einen Mann, der eine gute Chance auf den Gewinn des Wettbewerbs hat und Männer, die sich gegenseitig abklatschen, weil sie einen guten Job machen. Erinnert ihr euch an MyBoshi? Kaum nahmen sich Männer dem uncoolen Häkeln an, wurde es ein Trend. Und dann gab es noch die putzigen Männer, die Christbaumkugen strickten und auf der Buchmesse letztes Jahr in Frankfurt sah ich eine einzige Handarbeitsvorführung: ein häkelnder Mann, vermutlich Nachahmer der MyBoshi-Vorreiter. Selbst das zieht.
Vielleicht habt ihr
dieses Interview über nähende Männer letzte Woche gelesen, auf das uns Frau Drehumdiebolzen auf twitter aufmerksam machte. Fünf Männer erklären, warum sie nähen und wir weiblichen Nähnerds auf twitter waren eher irrtiert, als begeistert. Auf twitter ist so etwas schwierig zu diskutieren, umso erfreuter war ich, als
Lotti Frau Fadenverloren in einem Blogpost aufschrieb, was vielen durch den Kopf schoß.
Na, darauf werden auch andere schon gekommen sein und spätestens, wenn sie unsere Beiträge lesen, werden sie darauf kommen. Männer, es warten lukrative Buchverträge auf euch! Wie sollen sich Männer, denn mit Handarbeitsbüchern voller Röcke, Deko, Haushaltskram und Kindersachen identifizieren? Von Männer für Männer, so einfach ist das und vermutlich ist das mehr als eine Pressemeldung wert. Schaut her: Handarbeiten sind doch gar nicht so schlecht, sogar Männer begeistern sich dafür!
"Ich frage mich ja seit langer Zeit, wo dieses negative Image herkommt. Und ich frage mich (eigentlich immer mehr) warum textile Arbeiten als weibliche Arbeit gelten. Wie hängen beide Aspekte zusammenhängen: Ist das Handarbeitsimage negativ, weil es weiblich besetzt ist, oder ist es weiblich besetzt, weil Männer zu stolz / sich zu schade sind für schlecht angesehene Tätigkeiten?"Suschna
Bisher ist das anders. Es gibt natürlich Berichte über Handarbeiten, aber diese haben alle ein Geschmäckle. Nähen, Stricken, häkeln, so lange es von Frauen ausgeübt wird, hat es nicht den besten Ruf. Hypothesen dazu, könnt ihr bei
Suschna und
KittyKoma nachlesen, das ist wahnsinnig spannend.
Was bedeutet das für uns, wenn Handarbeiten zum neuen heißen Ding werden?
Nehmen wir ganz hypothetisch an, es gäbe auch in Deutschland eine Nähsendung im Fernsehen. Was würde das mit uns und unserem Hobby machen? Was würde mit unserer kuscheligen Ecke im Internet passieren? Wie würde es uns damit gehen? Als The Great British Sewing Bee vor zwei Jahren in England startete,
waren wir alle euphorisch. Wir waren begeistert von der Sendung, wir liebten die KandidatInnen und wir freuten uns, dass das, was wir lieben sogar in einem Massenmedium gewertschätzt wird. Die Begeisterung ist ungebrochen. Wir tun auch bei der dritte Staffeln noch alles dafür, diese sehen zu können,
aber wir fangen an, genauer hin zu sehen und ich glaube, das ist gut so.
Das "neue Handarbeiten" ist derzeit nur ein Phänomen unter vielen und findet in einer Nische statt. Es ist stark mit dem Internet verknüpft: gut vernetzte Blogs, kostenlose Anleitungen, gemeinsame Schaffen-und-Zeigen-Aktionen (Sew Alongs, Knit Along und Linksammlungen wie der
Me Made Mittwoch) machten es auch denjenigen möglich, bei denen der Fluss der Wissensvermittlung von den Ahninnen unterbrochen war. Im Internet ist es ein Special-Interest-Thema, eine Nische in die sich nur diejenigen verirren, die gezielt danach suchen. Für den Rest der Welt, hat das, was wir in unserer Nische machen keinen Relevanz. Das könnte sich ändern, wenn es das Nähen auch ins deutsche Fernsehen schafft und wahrgenommene und positiv bewertete Männer unser Hobby bekannt machen.
Hat es mehr Vor- oder Nachteile für uns, wenn unser Lieblingshobby, unsere Leidenschaft, massentauglich und stärker kapitalisiert wird?
Es hat sich schon viel geändert. Es hat den Anschein, als würde unsere Nische beständig größer werden. Wir können alle ein Lied davon singen, wie viel besser, die Ausgangsbedingungen zur Ausübung unseres Hobbys in den letzten Jahren geworden sind. Neben dem Schatz, den uns das Internet bietet, sind in den letzten Jahren an vielen Orten neue Handarbeitsläden, Nähcafés etc. entstanden. Es ist sehr viel leichter, an "Stoff" nicht nur im ursprünglichen Sinne zu kommen. Das ist toll! Während vor einigen Jahren die ersten Nähenden im Internet noch verzweifelt nach Gleichgesinnten suchten, gibt es mittlerweile (mehr als) eine große und lebendige Szene. Wir Nähnerds sind eine Nische in der Nische und noch nicht mal eine abgegrenzte Gruppe. Wir wissen, dass es auch andere Nischen gibt, in denen genäht wird und das ist gut so.
In meiner Ecke des Internets wird für sich selbst genäht. Wir nähen unsere Bekleidung selbst, wagen es, uns zu zeigen und teilen unsere Erkenntnisse. Das ist so unglaublich nährend und selbstermächtigend für unser Selbstbild als Frau und unser Selbstbewusstsein. Manchmal möchte ich vor Glück laut losjubeln, dass es euch, eure Blogs, eure Kommentare, eure Aussagen auf twitter, meinen Flauschbereich im Internet gibt und dass ich mit euch gelernt habe, was es für mich bedeutet, mit meiner selbstgenähten Garderobe mein Selbstbild selbst zu gestalten und wie es geht,
im Nahtschatten zu nähen. Ich möchte dieses Glück teilen und wünsche allen Frauen, dass sie früher oder später diese immense Chance entdecken, die das Nähen der eigenen Kleidung bietet.
Doch die anderen Ecken des nähenden, bastelnden, kochenden Internets sind auch toll, wenn auch für mich derzeit aus vielen Gründen nicht ganz so spannend. Doch egal
was wir selbst machen - es verändert etwas! Wenn wir Dinge selbst machen, dann lernen wir, sie mehr und mehr so zu machen, wie sie für uns gut sind. Wir lösen uns aus den üblichen Konsumprozessen und gestalten unser Leben und unsere Lebensumwelt nach eigenem Gusto. Das ist in jedem Fall bereichernd und lehrreich. Es lebe die Vielfalt! Alle DIY-Ecken des Internets sind gut. Ach hätten wir nur die Zeit überall zu schauen und uns inspirieren zu lassen! Wenn die Massenmedien uns und viele andere mit der Nase auch auf Unbekanntes stupsen, ist das nicht das schlechteste, auch wenn wir latent das Gefühl haben, dass wir Internettussis das alles schon vorher wussten. Mag sein - aber auch wir haben nur begrenzte Zeit und leben in einer Filterblase.
Selbermachen ist toll - je mehr es erkennen, um so besser!
Je mehr Menschen den Wert des Selbstgemachten erkennten, umso besser wird unsere Welt. Diese Theorie mag naiv klingen, aber ich glaube fest daran. An mir und an anderen kann ich beobachten, wie das selbst in die Hand nehmen, das Selbermachen, das Gestalten der eigenen Lebensumwelt mehr als die Garderobe veränderte. Durch das Selbermachen und das sich zeigen wird ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der sich auch auf andere Lebensbereiche überträgt. Da beginnt etwas, das nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wenn unser
Hörspiel zu Weihnachten auch ein Märchen war, die positiven Rückmeldungen dazu bestätigten uns darin, dass nicht nur wir so fühlen.
Was könnte passieren, wenn Handarbeiten (wieder) massentauglich wird? Was könnten die Nachteile sein? Ich weiß es nicht, weil ich es mir eigentlich gar nicht vorstellen will. Aber vielleicht packt diese Freude am Selbermachen nicht alle. Das kann schon sein, auch ich habe nach einer aktiven Phase als Teenager und junge Erwachsene fast zwanzig Jahre nur wenig gehandarbeitet, bis ich es wieder für mich entdeckte. Ich kann nicht genau sagen, woraus diese Pause resultierte. Vielleicht passte es nicht in meine Leben, vielleicht passte es nicht in die Gesellschaft. Wenn es mir passiert, kann es auch anderen so gehen. Ich will ja gar nicht alle bekehren. Es muß schon passen. Irgendetwas in uns muß reif dafür sein, etwas Neues auszuprobieren und das Leben die Hand zu nehmen.
Vielleicht wird Nähen auch nur ein kurzlebiger Trend. Vielleicht nähen nach einer Nähsendung im Fernsehen auf einmal mehr Menschen Loops und legen sie ein paar Jahre später zu den MyBoshis in die Altkleidersammlung. Vielleicht wird es nur eine Mode, die recht schnell von der nächsten Mode abgelöst wird. Oder, wenn Nähen nicht das neue MyBoshi sondern das neue Kochen ist, dann passiert vielleicht etwas anderes. Vielleicht gefällt es den FernsehkonsumentInnen Nähen zu konsumieren. Wir wissen alle, das nicht mehr Leute kochen, nur weil sie Kochsendungen im Fernsehen sehen. Und trotzdem sind diese Sendungen beliebt. Vielleicht passiert genau das gleiche rund ums Nähen? Vielleicht ist es einfach spannend, einen Nähwettbewerb zu sehen und wenn nach ein paar Jahren die Luft raus ist, wird eben ein TöpferInnencasting veransteltet. Wer weiß, jetzt wo Macramee Paracord heißt, erscheint mir alles möglich.
Oder aber wir Frauen werden als Zielgruppe entdeckt. Vielleicht gibt es irgendwann einen Fernsehsender wie
DMAX für Frauen oder besser gesagt "für Menschen". Wenn Sendungen über das Angeln, das Tunen alter Fahrzeuge oder das Holzfällern im Dschungel interessant genug sind, um als Serien produziert zu werden, könnte es doch auch sein, dass es gar keines Wettbewerbs im mittlerweile auch schon ausgelutschtem Castingformat bedarf, um ein Thema interessant zu machen. Vielleicht entdecken irgendwann mutige FernsehmacherInnen uns
nerdige Klamottennäherinnen und machen Sendungen, die für Aussenstehende möglicherweise absurd langweilig sind, für uns aber die logische Fortsetzung der
Nähpodcasts von Frau Nahtzugabe5cm, bei denen wir gebannt zuhören, was zwei Frauen, über ihre Leidenschaft, die auch unsere ist, erzählen.
Ich sehe das Glas halbvoll statt halbleer und nehme es als Chance, wenn Handarbeiten durch Männer oder das Fernsehen eine Aufwertung bekommt. Ich bin bereit mein Glück zu teilen und der festen Überzeugung, dass es genug Materialien für uns alle gibt und das Internet groß genug ist, noch mehr Handarbeitsnischen ein Zuhause zu bieten. Wenn mehr und mehr Menschen das Selbermachen für sich entdecken und daraus ein neues Selbstbewußtsein, eine innere Stärke und die Lust, etwas zu verändern bekommen, das wäre doch einfach wunderbar!
In meiner Ecke des Internets passieren gerade spannende Dinge. Ich freue mich über unsere Diskussionskultur, es ist eine gute Mischung, aus Diskussion in den Kommentaren, Inspiration auf twitter und längerem lauten Nachdenken auf dem eigenen Blog - sehr inspirierend, danke!